Der RP-Energie-Blog - Der Dual-Fluid-Reaktor: der neue Wunder-Reaktor für eine rosige Zukunft der Kernenergie?

Text (9.800 Zeichen)

RP-Energie-Blog > 2020-05-04 Der Dual-Fluid-Reaktor: der neue Wunder-Reaktor für eine rosige Zukunft der Kernenergie? Erschienen 2020-05-04 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!) Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2020_05_04.html Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics Consulting GmbH Inhalt: Das Institut für Kernphysik in Berlin behauptet, ein tolles Konzept für einen Dual-Fluid-Reaktor zu haben, der alle wesentlichen Probleme der Kernenergie auf einen Schlag lösen würde. Obwohl das Konzept theoretisch nachvollziehbar ist, ist es wohl unwahrscheinlich, dass es umgesetzt werden wird. In etlichen Jahren ist es nicht gelungen, Investoren davon zu überzeugen. Ref.: Institut für Festkörper-Kernphysik, https://dual-fluid-reaktor.de/ Seit rund zehn Jahren entwickelt das private Institut für Festkörper-Kernphysik (IFK) in Berlin ein Konzept für einen neuartigen Kernreaktor (Dual-Fluid-Reaktor), welches in der letzten Zeit in der Presse vermehrte Beachtung gefunden hat. Nach den Behauptungen dieses Instituts würde das neue Konzept auf einen Schlag praktisch alle Probleme der Kernenergie lösen. Somit fragt sich, was davon zu halten ist. Die Motivation Die Motivation zur Entwicklung eines völlig neuen Reaktortyps ist völlig nachvollziehbar. Sie basiert darauf, dass man die Nachteile der bislang fast ausschließlich genutzten Leichtwasserreaktoren erkannt hat, die einer Zukunft der Kernenergie zunehmend im Wege stehen: Der Kernbrennstoff wird nur sehr unvollständig ausgenutzt – viel spaltbares Material (inkl. Plutonium) verbleibt in den radioaktiven Abfällen, und gerade dieses ist wegen der langen Halbwertszeit besonders problematisch. Zwar ließe sich die Endlagerung ein gutes Stück weiter erleichtern, indem man wenigstens die verschiedenen Stoffe voneinander trennen und einige davon wieder nutzen könnte, aber die dafür nötigen Wiederaufarbeitungsanlagen sind sehr teuer, gefährlich und auch wegen der Weiterverbreitung von Atomwaffen nicht wünschbar. (Meist verzichtet man darauf.) Ein hohes Maß an Betriebssicherheit der Reaktoren setzt eine aufwendige Technologie voraus; bislang eingesetzte Reaktoren verursachten teilweise schwere Schadensverläufe – selbst solche, die zuvor für annähernd unmöglich gehalten wurden. Zudem ist der Wirkungsgrad der Stromerzeugung wegen der nicht allzu hohen Betriebstemperatur nicht sehr attraktiv. Entsprechend viel Abwärme muss in die Umwelt abgegeben werden. Diese und noch weitere Probleme soll das neue Reaktordesign gründlich lösen. Das Grundkonzept Die Grundidee des neuen Konzepts ist eine Modifikation eines bereits vier Jahrzehnte bekannten Konzepts des Flüssigsalzreaktors. Während bei diesem normalerweise ein flüssiges Salz sowohl als Kernbrennstoff als auch als Wärmeträger-Substanz fungiert, soll hier die letztere Funktion von einer zweiten Flüssigkeit übernommen werden, und zwar von einem flüssigen Metall wie Blei. (Eine genannte Variante verwendet auch für den Kernbrennstoff geschmolzenes Metall anstelle eines Salzes.) Die nukleare Kettenreaktion findet nur in einer Verdickung der Leitung für den flüssigen Kernbrennstoff statt, weil nur dort Kritikalität möglich ist. (An anderen Stellen gehen zu viele Neutronen verloren, um die Kettenreaktion aufrechtzuerhalten.) Die entstehende Wärme wird vom flüssigen Blei abgeführt, welches diese Verdickung umfließt. Eine Regelung der Kettenreaktion mit Steuerstäben soll nicht notwendig sein wegen eines stark negativen Temperaturkoeffizienten: Die Geschwindigkeit der Kettenreaktion soll prinzipbedingt bei einem Anstieg der Temperatur so stark abnehmen, dass der Reaktor seine Leistung quasi selbsttätig reguliert. Im Notfall könnte der flüssige Brennstoff nach unten in Auffangtanks abgelassen werden, die so gestaltet sind, dass eine Kritikalität nicht mehr möglich sind, die Kettenreaktion also sofort abstirbt. Der Reaktor enthält keinen Moderator, d. h. keine besondere Abbremsung der freigesetzten Neutronen. Es handelt sich also um einen “schnellen” Reaktor, in der die Kettenreaktion hauptsächlich mit schnellen Neutronen arbeitet. Die sogenannte “Neutronenökonomie” soll so gut sein, dass sich das Konzept besonders für die Realisierung eines Brutreaktors eignet. Das bedeutet, dass den Reaktionsbereich verlassende schnelle Neutronen verwendet werden können, um nicht spaltbares Material in spaltbares Material umzuwandeln – etwa Uran 238 in Plutonium 239. Dieses könnte dann den Brennstoffkreislauf zugeführt werden, sodass am Ende der Großteil des verwendeten Urans gespalten würde – ganz im Gegensatz zum konventionellen Leichtwasserreaktor, wo der größte Teil des Urans ungenutzt bleibt. Die erbrüteten Spaltsstoffe müssten natürlich zuerst einmal abgetrennt werden, um den Brennstoffkreislauf zugeführt werden zu können. Dies ist normalerweise eine komplizierte, teure und relativ gefährliche Angelegenheit, die gewöhnlich in Wiederaufarbeitungsanlagen mit dem Purex-Prozess (oder auch gar nicht) durchgeführt wird. Die Entwickler behaupten aber, diese Abtrennung mit einer einfachen Apparatur (einer pyrochemischen Prozesseinheit) innerhalb der Reaktoranlage durchführen zu können – basierend auf einer Art von Destillation. Massive Vorteile Die Entwickler behaupten vor allem die folgenden Vorteile ihres Konzepts: Der technische Aufbau wäre vergleichsweise kompakt (wegen der hohen Leistungsdichte des Reaktorkerns) und wenig kompliziert, also kostengünstig zu bauen, und gleichzeitig robust – beispielsweise nicht angewiesen auf ein schnelles Regelsystem für die Regulierung der Kettenreaktion. Die Gefahr von Reaktorunfällen soll aus diversen Gründen massiv reduziert sein; das Design sei inhärent sicher. Beispielsweise soll die hohe Wärmeleitfähigkeit des Metalls eine passive Abfuhr der Nachzerfallswärme nach der Abschaltung des Reaktors ermöglichen, sodass keine Katastrophe droht, wenn beispielsweise ein Kühlsystem ausfällt (wie in Fukushima reihenweise geschehen). Der genannte negative Temperaturkoeffizient der Kernspaltung soll Kritikalitätsunfälle verhindern. Wie beschrieben wäre die Ausnutzung des Urans weitaus besser, sodass viel weniger Natururan benötigt würde; sogar bislang unbenutzt gebliebenes Uran 238 könnte mit einem solchen Brutreaktor genutzt werden. Während die bisherige, sehr ineffiziente Kernenergienutzung die Uranvorräte in absehbarer Zeit erschöpfen könnte, wäre dies mit dem neuen System für sehr lange Zeit nicht mehr zu befürchten. Man könnte sogar für lange Zeit auf den Uranbergbau gänzlich verzichten. Es soll möglich sein, sämtliche Transurane früher oder später der Spaltung zuzuführen, weil sie durch die reichlich vorhandenen Neutronen in spaltbare Isotope umgewandelt werden könnten (Transmutation. Das wäre in der Tat ein enormer Vorteil, nicht nur weil aus dem Material viel mehr Energie gewonnen würde: Die Endlagerung der radioaktiven Abfälle würde massiv weniger aufwendig, weil sie “nur” noch für ein paar Jahrhunderte und nicht für viele Jahrtausende nötig wäre. Sogar die Abfälle konventioneller Kernreaktoren wären noch nutzbar – natürlich nicht die hochradioaktiven Spaltprodukte, aber das verbleibende Uran sowie alle Transurane. Hiermit würde einerseits aus radioaktiven Abfällen nochmals viel Energie gewonnen, und andererseits würden auch diese Abfälle wegen des Abbaus von Isotopen mit hoher Halbwertszeit viel weniger problematisch. Anstatt einer externen, sehr teuren Wiederaufarbeitungsanlage könnte man deren Funktion mit einem vergleichsweise simplen System im Kernkraftwerk realisieren, sodass auch entsprechend Gefahrentransporte vermieden würden. Durch die hohe Reaktortemperatur wäre der Wirkungsgrad eines damit gebauten Wärmekraftwerks vergleichsweise hoch – Werte in der Gegend von 60 % sollen erreichbar sein, ähnlich wie bei modernen Gas-und-Dampf-Kombikraftwerken für Erdgas. Dies verbessert nicht nur die Energieausbeute, sondern reduziert auch erheblich die Menge der anfallenden Abwärme. Außerdem ließe sich nicht nur Stromerzeugung realisieren, sondern auch Prozesswärme für industrielle Anwendungen gewinnen. Beispielsweise könnten CO2-neutrale Synthesekraftstoffe hergestellt werden. Eine massenhafte Anwendung solcher Reaktoren vor allem in der chemischen Industrie wäre denkbar, um dort die Dekarbonisierung voranzutreiben. Ein Missbrauch der anfallenden radioaktiven Stoffe für Atombomben soll praktisch unmöglich sein. Wäre das wünschenswert? Unter der Annahme, dass die genannten Vorteile tatsächlich realisiert werden könnten, und dies sogar noch zu günstigen Kosten, erscheint mir dieser Ansatz tatsächlich als so vorteilhaft, dass ich mir eine Zukunft der Kernenergie auf dieser Basis vorstellen könnte. Es würden in der Tat die ärgsten Probleme der Kernenergie entscheidend entschärft: die Problematik der Endlagerung über Jahrtausende, die Unfallgefahren im Betrieb, die Weiterverbreitung von Atomwaffen sowie die aus dem Ruder laufenden Kosten. Unter diesen Umständen könnte die Kernenergie irgendwann zu einer nützlichen Ergänzung der erneuerbaren Energien werden. Theoretisch könnte ich mir also vorstellen, durch diese Sache zu einem Fan der Kernenergie zu werden – wenn nicht die im Folgenden erläuterten Gedanken die Sache als ziemlich unrealistisch erscheinen ließen. Funktioniert das wirklich? Die Grundideen, die übrigens auf der Website des IFK sehr schön beschrieben werden, sind durchaus nachvollziehbar. Die Frage ist aber, ob all dies auch praktisch so leicht funktionieren würde – und genau das ist der kritische Punkt. Während die vielen Vorteile ausführlich erklärt werden, geht die genannte Website insbesondere nicht sehr detailliert auf die Materialproblematik ein. Man beachte, dass die Konstruktionsmaterialien dieses Reaktors extremen Bedingungen ausgesetzt wären: Di…

Gefundene Schlagwörter

  • Kernenergie
  • Plutonium
  • Kernreaktor
  • Kernbrennstoff
  • Reaktor
  • Uran
  • Radioaktiver Abfall
  • Kettenreaktion
  • Berlin
  • Leichtwasserreaktor
  • Brennstoffkreislauf
  • Uranerz
  • Kernkraftwerk
  • Radioaktive Substanz
  • Werkstoff
Weitere Ergebnisse (41)
  • Stoff
  • Endlagerung
  • Wiederaufbereitungsanlage
  • Metall
  • Isotop
  • Transuran
  • Wirkungsgrad
  • Nuklearkatastrophe von Fukushima
  • Endlagerung radioaktiver Abfälle
  • Halbwertszeit
  • Gefährliche Güter
  • Stromerzeugung
  • Abwärme
  • Blei
  • Salze
  • Schneller Brutreaktor
  • Kernphysik
  • Kerntechnischer Unfall
  • Wärmekraftwerk
  • Fukushima
  • Kernenergienutzung
  • Kernwaffe
  • Photonik
  • Temperatur
  • Flüssiger Brennstoff
  • Destillation
  • Kühlsystem
  • Wärmeleitfähigkeit
  • Kernspaltung
  • Rohstoffreserve
  • Erzbergbau
  • Erdgas
  • Energieertrag
  • Prozesswärme
  • Industrielles Verfahren
  • Dekarbonisierung
  • Chemische Industrie
  • Kostensenkung
  • Betriebskosten
  • Erneuerbare Energie
  • Ventilator